Vom Ketchup, dem perfekten Sturm und einer rosigen Zukunft

Nach zwei äusserst erfolgreichen Jahren kämpfte die Velobranche 2022 mit erheblichen Herausforderungen. Diese werden Velohandel, Hersteller und Importeure auch 2023 noch beschäftigen. Doch längerfristig gibt es allen Grund zur Hoffnung – Gedanken zur Veröffentlichung des Marktbulletins Velohandel Schweiz 2023.

Wer je das Ketchup aus einer Flasche mit verstopfter Öffnung zu drücken versuchte, kennt es: Erst kommt gar nichts, dann viel zu viel. Dieser Effekt lässt sich auch in der Wirtschaft und in den Lieferketten des globalisierten Handels feststellen. 2022 traf er die Velobranche nahezu weltweit. Die Schweiz war besonders betroffen, weil die Veloproduktion im Inland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr klein ist. Und wie bei der beliebten Pommes-Sauce sorgte der Ketchup-Effekt auch in der Velobranche für ein ordentliches Schlamassel und hartnäckige Spuren.

Katerstimmung nach dem Covid-Boom

Zuerst kam so wenig Ware in den Markt, dass die Branche in der ersten Saisonhälfte kaum etwas verdiente. Dann wurde so viel aufs Mal geliefert wie noch nie zuvor, bis die Lagerböden ächzten. 2023 wurde die Lage noch schwieriger, weil sich wegen dem misslichen Wetter und der kritischen Konsumentenstimmung viel zu wenig Leute dafür interessierten, dass Velos und E-Bikes wieder in guter Auswahl zu kaufen waren. Die Bankkonten der Velobranche wurden in kurzer Zeit gleich dreifach strapaziert. Aus den einzelnen Herausforderungen der letzten anderthalb Jahre wuchs ein so genannter «Perfekter Sturm», bei dem sich verschiedene ungünstige Umstände gegenseitig hochschaukeln und verschlimmern. Hätte die Branche nicht zwei brillante Jahre hinter sich, wären sehr wahrscheinlich schon zahlreiche Unternehmen in die Pleite gerutscht.

Gute Voraussetzungen für langfristigen Erfolg

Das wiederum hätte in naher Zukunft zu weiteren Schwierigkeiten geführt. Denn es ist absehbar, dass die Nachfrage im Velomarkt sich bald wieder erholen wird. Noch nie wurde der Veloverkehr in der Schweiz so stark gefördert wie gerade jetzt. Und zahlreiche weitere Massnahmen stehen kurz vor der Umsetzung, von flächendeckendem Tempo 30 innerorts bis zu neuen Veloschnellrouten, von gesicherten Parkstationen an Bahnhöfen bis zu gesetzlichen Erleichterungen für Cargobikes und schnelle Elektrovelos. Das alles wird den Nutzungskomfort und die Sicherheit auf dem Velo und dem Elektrovelo erhöhen. Je sicherer Menschen sich auf dem Velo fühlen, desto mehr nutzen sie es. Darum wird sich der Velo- und Elektroveloverkehr weiter erhöhen.

Die Velobranche wird es dann brauchen, um die dazu passenden Fahrzeuge zu liefern und den Service sicher zu stellen. Denn damit Schweizerinnen und Schweizer gerne in die Pedale treten, brauchen sie auch ein Velo oder Elektrovelo, auf dem sie sich wohl fühlen, und das im Falle einer Panne schnell wieder fahrbereit ist. Wie hoch hier die Ansprüche sind, kann sich die Velobranche beim Autoservice abschauen.

Potenzial noch nicht ausgereizt

Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die jüngste Mobilitätsstudie «Mikrozensus Schweiz» zeigt, dass erst einer von fünf in der Schweiz ein oder mehrere Elektrovelos besitzt. Drei von fünf Haushalten besitzen aber Velos, beinahe drei von fünf Haushalten besitzen Abos des öffentlichen Verkehrs und beinahe vier von fünf Haushalten besitzen Autos. Selbst wenn sich der Elektrovelobesitz in den nächsten 10 Jahren verdoppeln würde, wäre das Potenzial im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln noch nicht ausgeschöpft. Und trotzdem würde der Velohandel jedes Jahr im Schnitt rund 150’000 neue Elektrovelokäufer hinzugewinnen. Und Ersatzkäufern und denen, die mehr als ein E-Bike besitzen, haben wir noch nicht einmal geredet.

Der Velobranche und ihren Produkten steht eine vorteilhafte Zukunft in Aussicht. Zuerst gilt es nun aber, den Sturm möglichst schadlos zu überstehen, der gerade über die Schweizer Velobranche zieht. Denn dieser ist noch nicht ausgestanden. Vor Ende 2025 dürfte es für Hersteller, Importeure und Händler schwierig werden, Lager und Liquidität wieder ins Lot zu bringen. Die Covid-Pandemie, die ganz am Anfang dieser Entwicklung stand, hinterlässt dann während sechs Jahren in Folge ihre Spuren im Schweizer Velohandel.

Wissen, wie der Velohandel 2023 tickt

Das Marktbulletin Velohandel Schweiz 2023 gibt einen Überblick über den Erfolg der Schweizer Velobranche in der Saison 2022. Zudem zieht es eine Zwischenbilanz zum laufenden Jahr. Die Marktstudie ist ab sofort hier erhältlich.

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