Macht’s die Marke?

Viele Velofachhändler legen Wert auf die Brands, welche sie verkaufen. Und vernachlässigen dabei die oft stärkste Marke in ihrem Geschäft.

„Lieferant X tanzt mir auf der Nase herum. Eigentlich möchte ich nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten, aber ich brauche die starke Marke in meinem Laden.“ Aussagen wie diese habe ich in den letzten Jahren verschiedentlich von Velofachhändlern gehört. Aus Angst um die Attraktivität ihres Angebots nehmen sie im Umgang mit Geschäftspartnern zahlreiche Unzulänglichkeiten in Kauf, wie beispielsweise Lieferengpässe, Margenkürzungen oder einen lückenhaften After Sales Service. Bis ein Händler eine Marke in seinem Angebot durch eine andere ersetzt, lässt er sich seine Geduld oft hart strapazieren.

Grundsätzlich ist es eine positive Eigenschaft, dass sich Fachgeschäfte loyal zu ihren Lieferanten verhalten. Und es ist für die Glaubwürdigkeit eines Geschäfts gegenüber dem Kunden tatsächlich nicht vorteilhaft, wenn es ständig sein Angebot auswechselt. In der Regel hängt der Erfolg eines Velogeschäfts aber wesentlich weniger stark von den angebotenen Marken ab, als es in der Branche gemeinhin angenommen wird.

Während meiner ehrenamtlichen Arbeit an den Occassionsbörsen der ProVelo und im Gespräch mit Freunden habe ich wiederholt festgestellt, dass mit Ausnahme der leidenschaftlichen Radsportler, der Bastler und einiger aussergewöhnlich anspruchsvoller und kritischer Konsumenten kaum einer ein Bewusstsein dafür hat, welche Marken sich in der Velowelt tummeln. Der weitaus bekannteste Name in der breiten Bevölkerung ist Shimano. Als Velomarke kommen Manchen noch alte Grössen wie Cilo, Mondia und Villiger in Erinnerung. Bei den Namen, die aktuell im Handel vertreten sind, fehlen die Kenntnisse dann oft aber gänzlich.

Das sollte nicht weiter erstaunen, denn es ist für einen Endkunden nahezu unmöglich, den Überblick im Veloangebot zu behalten. Aktuell zähle ich rund 320 Velomarken, die alleine im Schweizer Fachhandel angeboten werden – Die eigenen Brands der Fachmärkte und Direktverkäufer sind dabei noch nicht mal berücksichtigt. Auch im Elektrovelo-Segment ist das Angebot in den letzten Jahren rasant angewachsen. Waren am Anfang des Booms noch eine Hand voll Anbietern, so sind es heute bereits über 120 Marken. In praktisch keiner Gruppe von Konsumgütern gibt es eine solche Markenvielfalt – Uhren und Wein mal ausgenommen.

Dass es in der Branche deswegen keine starken Marken gibt, lässt sich aber dennoch nicht behaupten. Zumindest lokal gibt es nämlich Namen, die sehr wohl in Erinnerung bleiben – diejenigen der Fachhändler. Die meisten meiner wenig fachkundigen Bekannten kennen zwar kaum die Marke ihres Velos. Doch wenn ich sie nach dem Kaufort frage, wird der Name des Geschäfts meistens wie aus der Pistole geschossen genannt. Den Test habe ich verschiedentlich wiederholt, und das Ergebnis bestätigt sich seit Jahren in schöner Regelmässigkeit: Der Name des Verkäufers ist vielen Konsumenten geläufiger als der des gekauften Velos.

Für den Händler heisst das, dass er sich über die Markenauswahl nicht bis aufs Letzte verbiegen muss. Damit ein Kunde zu ihm zurückfindet, ist es viel wichtiger, dass er diesen zur vollen Zufriedenheit bedient, als dass er ihm nach fünf oder sechs Jahren noch dieselbe Marke anbieten kann wie beim letzten Velokauf. Entsprechend darf er es sich auch leisten, gegenüber den Kunden selbstbewusst die Stärken und herausragenden Eigenschaften seines eigenen Geschäfts zu betonen. Das Angebot der Lieferanten soll transparent offen gelegt sein. Doch für die langfristige Kundenbeziehung reichen die vermeintlich starken Marken als Argument nicht aus.

 

 

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