Liebe macht blind

Die Velobranche möchte ihre Leidenschaft für das Produkt mit ihren Kunden teilen. Doch im Stil, wie dies vermittelt wird, schiessen Industrie, Handel und Service oft an den eigenen Zielen vorbei.

Sybille fährt gern Velo. Sie nutzt ihr Zweirad regelmässig im Alltag und gelegentlich auch auf Ausflügen mit ihrem Partner. Vor zwei Jahren hat sie sich deshalb beim Fachhändler an ihrem Wohnort in der Agglomeration ein neues Trekkingbike gekauft. Klar, die Liebe zum Velo ist nicht immer ungetrübt – bei fast jedem Treffen weiss sie über einen Platten zu klagen, oder darüber, dass die Griffe bereits klebrig und durchgescheuert sind. Doch so frustriert wie beim letzten Mal war sie noch nie: „Wenn mir ein Händler nochmals so einen Vortrag zur Velotechnik hält, nehme ich künftig den Bus!“ Die Nachfrage ergab, dass Sybille ihr Velo vor zwei Wochen in den Service brachte, weil die Bremsen immer schwächer geworden waren. „Der Typ hat sich aufgeregt und mir eine Viertelstunde lang etwas von Öl auf der Bremsscheibe erzählt und warum das den semi-organisatorischen Belägen – oder so ähnlich – schadet. Dann wollte er mir eine riesige Dose Spezialreiniger für 35 Stutz abdrücken – natürlich nicht ohne aufzuzählen, was dieser kann und wofür er keinenfalls eingesetzt werden sollte. Ich hab ihn ausreden lassen, genickt und die Reparatur bezahlt. Aber nochmals lass ich mir das nicht bieten. Kennst Du einen guten Mech in meiner Umgebung?“

Meine Kollegin ist eine typische Schweizer Velofahrerin, sie will per Pedales einfach von A nach B kommen. So geht es nicht nur ihr und vielen anderen Zweiradnutzern, sondern nahezu allen Verkehrsteilnehmern. Man will sich fortbewegen, ohne viele Gedanken an das Fortbewegungsmittel zu verlieren. Nur eingefleischte Fans interessiert es, mit welcher Stromspannung die S-Bahn betrieben wird oder ab welcher Geschwindigkeit sich Alufelgen am Auto positiv aufs Lenkverhalten auswirken. Von diesen Fahrzeugnutzern erwartet auch niemand, dass sie sich so detailliert mit der Technik ihres Fortbewegungsmittels auseinandersetzen. Nur in der Velobranche erlebe ich oft den Anspruch, dass die Kunden doch dieses oder jenes technische Detail kennen müssten.

Dieser Ansicht ist nicht nur bei Mechanikern und Händlern weit verbreitet, sie wird auch von vielen Herstellern gepflegt. Den Beweis dafür erhält man, wenn man verschiedene Verkaufskataloge durchblättert. Sicher die Hälfte der Anbieter betont auch bei Velos für den durchschnittlichen Gebrauch die Technik mit seitenlangen Spezifikationslisten und Ausführungen zu den Details der verbauten Komponenten. Abgesehen davon, dass ein Hersteller mit letzterem seine eigene Leistung und Marke schwächt, zielt er damit an den Erwartungen und Wünschen seiner möglichen Kunden vorbei. Kaum einer betont, für welche Nutzung sich ein bestimmtes Modell besonders anbietet oder weckt mit stimmungsvollen Bildern die Lust darauf, im Velosattel positive neue Erfahrungen zu sammeln.

Es herrscht eine Art von Branchenblindheit: Viele Fachleute in der Veloindustrie lieben die Materie ihres Berufes sehr. So sehr, dass sie nicht mehr erkennen können, dass jemand mit etwas mehr Distanz zur Sache dafür nicht die gleiche Leidenschaft aufbringen kann. Sie bleiben gefangen in einer Fachsprache, die ausgezeichnet ist für den Umgang mit Gleichgesinnten und Gleichinformierten. Dass sie damit einen Laien überfordern, langweilen oder sogar herabsetzen und in der Folge verärgern, ist ihnen oft kaum bewusst. Statt einer engeren Bindung schaffen sie damit eher eine grössere Distanz zwischen sich und ihrem Kunden, respektive zwischen dem Velo und seinem Besitzer. Denn wird der bewusst oder unbewusst Anspruch vermittelt, dass ein technisches Verständnis die Voraussetzung für einen angemessenen Gebrauch ist, wirkt das wie eine zusätzliche Hürde.

Dabei braucht es nicht viel, um die Kommunikation zwischen Anbieter und Abnehmer zu verbessern: Derjenige, der mehr weiss, muss seine Leidenschaft ein wenig zügeln und sich an die Sprache und das Vorwissen seines Gegenübers anpassen. Wer das Fachwissen in Alltagssprache übersetzen und den Nutzen betonen statt nur Eigenschaften aufzählen kann, erweist sich als wahrer Profi. Das merken auch Kunden, und sie werden sich an den kompetenten Branchenfachmann zurückerinnern, wenn sie wieder einmal das Kompetenz eines Experten benötigen.

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