Das Marktbulletin 2021 weist den grössen wirtschaftlichen Erfolg der Schweizer Velobranche seit Gedenken aus. Doch wie geht es nun weiter? Wie sollen Händler und Hersteller auf das enorme Nachfragewachstum im Corona-Jahr 2020 reagieren?
Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man 2020 als die verrückteste Saison des Schweizer Velohandels seit Menschengedenken bezeichnet. Auf allen Stufen von Herstellung, Lieferung, Verkauf und Service musste die Branche neu denken. Mehr noch: Die Hersteller, Importeure und Händler musste sich nicht nur mit anderen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, sondern auch zu ganz anderen Zeiten als sie es sich gewohnt waren.
Eine der weitreichendsten Folge der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf den Velomarkt ist, dass die Branche so weit im Voraus planen muss wie noch nie. Bevor absehbar ist, wie lang uns die Corona-Krise noch beschäftigen wird, müssen sich alle Beteiligten wichtige Fragen stellen: Wieviel vom Nachfrageboom bleibt, wenn die Pandemie vorüber ist? Wann ist der Markt gesättigt? Wie viele Velos und Elektrovelos wird es dann noch brauchen? Was wird blieben von den Veränderungen, die das letzte Jahr mit sich gebracht hat? Wann werden sich die Lieferketten normalisieren?
Grosse Entscheide mit kleiner Gewissheit
So entscheidend diese Fragen für den künftigen Branchenerfolg sind, so schwer sind sie zu beantworten. Wer jetzt behauptet, die Liefersituation und Nachfrage in den nächsten zwei bis drei Jahren zu kennen, liegt garantiert falsch. Der Velobranche bleibt nichts anderes übrig, als sich an wenigen Anhaltspunkten zu orientieren, um Chancen und Risiken ins Lot zu bringen.
Wer jetzt behauptet, die Liefersituation und Nachfrage in den nächsten zwei bis drei Jahren zu kennen, liegt garantiert falsch.
Die Kurskorrektur wird kommen
Als gesichert gelten kann, dass es nicht immer so weitergehen wird. 2020 war ein Ausnahmejahr, und 2021 zeichnet sich auch noch keine Rückkehr zur Normalität ab. Und der Boom dieser beiden Jahre wird sicher noch eine Weile nachwirken. Dann wird aber eine gewisse Sättigung eintreten. Und man kann jetzt schon davon ausgehen, dass dann im Handel zu viel Ware an Lager sein wird. Und man kann auch davon ausgehen, dass dies einige Marktteilnehmer ruinieren wird. Nicht jede Investition, die nun getätigt wird, wird sich auszahlen. Das war bereits so, als der Rennveloboom Anfang der Achtziger Jahre endete und als die Nachfrage nach Mountainbikes Mitte der Neunziger Jahre nachliess.
Das Velo ist kein modisches Gadget wie das Hooverboard oder der Fidget Spinner, das ein Jahr hui und das nächste pfui ist.
Mit Sicherheit wird die Nachfrage aber auch nicht abrupt abbrechen. Auch frühere Höhenflüge der Velobranche flachten sanft ab. Das Velo ist kein modisches Gadget wie das Hooverboard oder der Fidget Spinner, das ein Jahr hui und das nächste pfui ist (Wer erinnert sich noch an diese Eintagsfliegen?). Dafür ist das Velo zu praktisch und zu vielseitig. Es ist zu teuer, um einfach mal spontan gekauft zu werden, um es auszuprobieren. Und: Es ist zu wenig neu, damit Käuferinnen und Käufer nicht schon eine Ahnung haben, was sie erhalten und wofür es gut ist. Wer sich ein Velo oder E-Bike leistet, geht überlegter vor als wenn er sich ein kurzlebiges Trendprodukt kauft. Für einen gewissen weiteren Erfolg spricht auch, dass der Markt sich auch vor Corona schon erfreulich entwickelte. Dabei spielten andere Gründe eine Rolle, und diese werden auch noch zählen, wenn die Pandemie vorüber ist.
Nun nicht den Kopf verlieren
Bei allen Ängsten darf die Velobranche also nüchtern optimistisch in die Zukunft blicken. Was sie nun nicht tun sollte, ist euphorisch ihre Zukunft nur auf Basis der Zahlen von 2020 planen. Viele Regeln und Traditionen der Velobranche wurden zwar durch die Pandemie ausgehebelt, und manche Dinge werden nach Corona anders sein als vor Corona. Doch einiges vom Erfahrungsschatz der früheren Jahre wird wieder an Bedeutung gewinnen, wenn die aussergewöhnliche Lage wieder abklingt. Freuen wir uns darauf, dass unser Wissen wieder an Wert gewinnen wird und wir zusätzliche Erfahrungen aus der Coronazeit werden nutzen können!
Dieser Blog-Beitrag ist als Editorial im aktuellen Marktbulletin Velohandel Schweiz 2021 erschienen.